OriginaltextDeutsch
04.
Das Mondkind
José Maria Cano
Nur Dumme merken nicht
dass ich bloss eine Geschichte erzähle,
die Geschichte einer Zigeunerin,
die eine Nacht lang die Mondfrau
weinend um einen Mann anflehte.
‚Du wirst deinen Mann bekommen, mit dunkler Haut,’
sagte die Mondfrau oben am Himmel,
‚dafür möchte ich aber das erste Kind
das du ihm gebären wirst.’
Um nur nicht alleine zu sein
war die Frau zu allem bereit
und so opferte sie ihr Kind.
‚Mondfrau, du wärst gerne Mutter
und findest keine Liebe, die dich zur Frau macht
Sag mir, Silbermondin, was willst du denn
mit einem dunkelhäutigen Kind?’
Dem Vater mit zimtfarbener Haut
wurde ein Kind geboren
weiss, wie ein Hermelin,
mit grauen
statt olivfarbenen Augen
ein Mondkind, ein Albino.
‚Verdammt sei sein Aussehen,
das ist das Kind eines Bauern.
Das lasse ich nicht mit mir machen!’
‚Mondfrau, du wärst gerne Mutter ... ’
Der Zigeuner, der sich gehörnt glaubte,
ging zu seiner Frau mit dem Messer in der Hand.
‚Wessen Kind ist das!’ schrie er, ‚Gib zu,
du hast mich betrogen!’ und er tötete sie.
Dann ging er ins Gebirge, das Kind im Arm
und liess es dort zurück.
‚Mondfrau, du wärst gerne Mutter ...
In den Vollmondnächten geht es dem Kind gut
aber wenn es weint, nimmt die Mondfrau ab
und ihre Sichel wird zur Wiege für das Kind.
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